December Rains
December Rains für Klavier solo, 1992/93
06:45′
Edition Kunzelmann, GM-1890
Auftrag des Konservatoriums und der Präsidialabteilung der Stadt Zürich
Uraufführung: 22. Juni 1993, Konservatorium Zürich (Radka Petrova)
16. August 2013: Karolina Rojahn und Martin nach dem Konzert mit „December Rains“ am PARMA Music Festival
Brilliante Aufführung durch Arta Arnicane am 24. Mai 2018 im Rahmen der Konzertreihe schlumpf+
Hörbeispiele
Diese relativ kurze Klavierkomposition ist als Auftrag der Zürcher Hochschule der Künste für einen internen Klavierwettbewerb 1993 entstanden.
Selbstverständlich bedeutet eine solche Konstellation für den Komponisten, eine Musik zu schreiben, die ein genügend grosses Mass an Virtuosität enthält. Diese Forderung hat Schlumpf im ersten Teil seines Stückes in relativ „konventioneller“ Weise erfüllt. Das heisst aber nur, dass hier keine aussergewöhnlichen Spieltechniken eingesetzt werden, nicht aber, dass die Musik „konventionell“ wäre. Was sie eigenständig und frisch macht, ist in erster Linie die Verwendung der Rhythmik.
In der Mehrzahl der Passagen in diesem ersten Teil finden sich unregelmässige metrische Grundbedingungen. Das heisst ganz einfach, dass man beim Spielen sehr oft zwischen langen und kurzen Einheiten in unregelmässiger Reihenfolge unterscheiden muss. Gemessen an einem relativ raschen regelmässigen Puls bedeutet dann „lang“ dreizählig und „kurz“ zweizählig.
Nehmen wir als Beispiel den Anfang des Stückes. Die Musik beginnt im oberen System (rechte Hand) mit einer einprägsamen Figur, die anschliessend mehrfach wiederholt wird. Diese Figur besteht metrisch aus lang – lang – lang – kurz, oder eben wie oben ausgeführt aus 3 + 3 + 3 + 2. Als Spannungselement zu dieser gut überschaubaren Situation entpuppt sich dann das untere System (linke Hand): in völlig anderer Rhythmik wird hier eine freie Bassstimme entwickelt, die zur ostinaten Oberstimme in einem ständig wechselnden Blickwinkel steht.
Da die Gesamtform des ersten Teils bogenförmig angelegt ist, taucht gegen Ende die Anfangsfigur der rechten Hand wieder auf. Nun allerdings zunächst in tieferer Lage und mit einem Bass, der jetzt ebenfalls ostinat komponiert ist. Jedoch in zweitaktigen Zyklen insofern, als das eigentlich eintaktige Motiv jeweils zuerst off- beat und dann im nächsten Takt on-beat eintritt. Das heisst, der Bass spielt einmal auf die Takteins und das nächste Male erst unmittelbar danach. Mit den Mitteln der harmonischen Modulation, der metrischen Umgruppierung der 3er und 2er-Figuren sowie einer Tonraumentwicklung bis hin zur Originallage in der rechten Hand und einer maximal tiefen Lage in der linken, erfährt diese Ausgangslage ihre variative Fortsetzung bis zum Schluss.
Sicherlich auffällig ist auch noch die Unisono-Kadenz: eine Kaskade von regelmässig pulsierenden raschen Tönen, die durch einige Tempowechsel zu Beginn etwas gedehnt oder dann wieder zusammengedrückt werden, bis die ganze Melodie aus hoher Lage nach und nach abfällt und schliesslich durch ein grosses Crescendo zusätzlich dramatisiert völlig abstürzt.
Ein Verlauf, der auch als aufkommenden, sich verstärkenden und wieder abflauenden Prasselregen auf ein Dach verstanden werden könnte (auch an andern Stellen sind ähnlichen Assoziationen durchaus naheliegend): hier ist ein möglicher Bezug zum Begriff Regen im Titel gegeben. Dezember dann schlicht deshalb, weil die ersten Skizzen im Dezember 1992 entstanden sind.
Während diese Kadenz nur mit grosser technischer Virtuosität gemeistert werden kann, sind im abschliessenden December Song (part B) völlig andere Spielqualitäten
gefordert. Zuallererst diejenige eines „singenden“ Klaviers. Es geht tatsächlich darum mit dem Klavier so weit wie möglich den Eindruck entstehen zu lassen, wie wenn hier jemand singen würde. Und dies auf einem Instrument, das von seiner Mechanik her – die Saiten werden von den Hämmern angeschlagen und verklingen dann einfach – denkbar weit vom Singen, d.h. dem Halten und vielfältigen Modulieren eines Tones, entfernt ist. Das wirklich Erstaunliche ist aber, dass, wenn mit entsprechend differenzierter Artikulation und klugem Pedaleinsatz gespielt wird, tatsächlich in unseren Köpfen der Eindruck einer „gesungenen“ Melodie entstehen kann.
Daneben ist hier – auch das im grossen Gegensatz zum ersten Teil – eine Form der Agogik wichtig, die in sehr feiner Ausbalancierung zwischen feinem Anziehen und wieder Loslassen der Tempokurve eine ideale Balance findet.